Like a dream. © Ursula Aichner

Bild: © 1960 CERN, CERN-EX-11465

Literatur & Wissenschaft


Im Jahr 1935 entwarf der österreichische Physiker Erwin Schrödinger ein paradoxes Gedankenexperiment: Man sperre eine Katze in eine Kiste zusammen mit einer radioaktiven Substanz, deren Zerfall mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftritt. Gemäß den Gesetzen der Quantenmechanik kann die Frage, ob die Katze zu einem bestimmten Zeitpunkt tot oder lebendig sei, nicht beantwortet werden. Schrödinger behalf sich also nicht mit einer Formel, sondern vielmehr mit einer Metapher, um ein physikalisches Phänomen zu beschreiben. Auch die Rekonzeptualisierung des Verhältnisses von Raumzeit und Materie-Energie in Einsteins Relativitätstheorie und die Debatte um die Entwicklung der Quantentheorie zu Beginn des 20. Jh. werfen Probleme auf, die bis in die Gegenwart hinein von der Literatur reflektiert werden und Strukturen des literarischen Schreibens prägen. Und auch heute stellen viele WissenschaftlerInnen Fragen nach der Kraft von Metaphern und den Bedingungen, die über Ziele, Prioritäten und ethische Grenzen des Forschens entscheiden. Umgekehrt erscheinen gegenwärtig viele sachlich fundierte, literarische Texte zu physikalischen Themen. Beide Perspektiven tragen zum Verständnis gegenwärtiger und zukünftiger Probleme bei. Die Innsbrucker Wochenendgespräche 2015 stellen deshalb Analogien in Literatur und Wissenschaft zur Diskussion und gehen der Frage nach, was passiert, wenn das visionär Poetische, Metaphorische und das konzeptuell Mathematische, Beobachtende aufeinanderstoßen.


Moderator der Gespräche wird Raoul Schrott sein. In seinem Buch Gehirn und Gedicht hat er auf der Suche nach dem Geheimnis des Gedichts die neuesten wissenschaftlichen Spuren aufgenommen und zeigt zusammen mit dem Hirnforscher Arthur Jacobs, wie wir unsere Wirklichkeiten konstruieren und wie sich in elementaren literarischen Stilmitteln neuro­nale Prozesse erkennen lassen. Anhand zahlreicher Beispiele aus unterschiedlichsten Epochen führen die beiden vor, wie wir denken, warum wir es so tun, wie wir es tun, und wie daraus Dichtung entsteht. Anna-Elisabeth Mayer lässt in ihrem Roman Die Hunde von Montpellier ein Stück Wissenschaftsgeschichte lebendig werden und hinterfragt mit zweischneidiger Ironie den Umgang mit gesellschaftlichen Tabus. Peter Steiners Sandfallenbauer befreit sich von den Verpflichtungen der Beweisführung eines Wissenschaftlers und beginnt ein neues Leben als Bauer. Naturwissenschaftliche Einflüsse sind auch in den Gedichten Periodischer Gesang der Lyrikerin Sylvia Geist zu finden, ebenso wie in jenen von Andrea Grill, etwa in ihrem letzten Gedichtband Safari, innere Wildnis. Thomas Lehrs Roman 42 ist ein spannender Thriller über die Suche nach der Zeit, in dem Physik und Poesie eine einzig­artige Verbindung eingehen: eine direkte Übersetzung der Einstein’schen Relativitätstheorie in Literatur. In Ulrich Woelks Kriminalroman Pfingstopfer bietet das Krimi-Genre den formalen Rahmen für ein Gedankenexperiment, in dem Neurobiologie und Religion aufeinanderprallen. Michael Hampe lässt in seinem dialogischen Roman Tunguska vier Männer – einen Physiker, einen Philosophen, einen Biologen und einen Mathematiker – eine Grundsatzdiskussion über das Wesen der Natur führen. Und der Comiczeichner Jens Harder nimmt sich mit Alpha / Beta / Gamma gleich die ganze Evolutionsgeschichte, beginnend mit dem Urknall, vor: eine faszinierende Verbindung von Wissenschaft und Kunst. Wir freuen uns auf Sie!


Birgit Holzner und Joe Rabl

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