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Literatur und Politik

Es ist eine alte Frage: Soll die Literatur – oder, weiter gefasst, die Kunst – ihre Stimme in einem politischen Sinne erheben? Nicht zuletzt seit der Zunahme diverser Krisen und der allgegenwärtigen Infragestellung demokratischer Errungenschaften wird der Ruf nach dem Schriftsteller, der Schriftstellerin als moralischer Instanz wieder lauter. Aber sind Moral und Zeitgenossenschaft literarische Kompetenzen? Und besteht der Eigensinn der Literatur nicht vielmehr darin, sich tagespolitischen Forderungen zu entziehen und den Blick auf ästhetische Kriterien zu richten? Dem ließe sich entgegenhalten, dass es keine Literatur gibt, die nicht von der Gesellschaft beeinflusst ist und ihrerseits wieder die Gesellschaft beeinflusst. Die Frage nach dem Primat von Ethik und Ästhetik wurde im Laufe der Zeit immer wieder gestellt – und immer wieder anders beantwortet. Für Wittgenstein waren Ethik und Ästhetik noch eins, später sahen sich Generationen von Autorinnen und Autoren dem Vorwurf ausgesetzt, Betroffenheitsprosa zu verfassen, wurden andere wiederum bezichtigt, unpolitisch, ichbezogen zu schreiben. Vielleicht ist die Frage auch nicht generell zu beantworten und liegt die Entscheidung, wie viel Engagement ein literarisches Werk braucht oder verträgt, im Ermessen jedes Autors, jeder Autorin; und möglicherweise ist sie für jeden Text, der den Anspruch auf Wahrhaftigkeit erfüllen will, immer wieder aufs Neue zu stellen.

Anna Rottensteiners Roman Nur ein Wimpernschlag beschäftigt sich mit dem Schicksal in Italien gestrandeter Flüchtlinge. Norbert Gstrein stellt in seinem Roman In der freien Welt die Frage nach unserem heutigen Blick auf jüdische Identität, auf das Fortwirken deutscher Geschichte und die Politik Israels. In Herzl reloaded erörtert Doron Rabinovici, Autor und Historiker, gemeinsam mit Natan Sznaider, was aus der Vision von Theodor Herzls Altneuland geworden ist. Die schillernde Bandbreite zwischen Literatur und Politik, Stil und Moral, lotet Lukas Bärfuss in seinem gleichnamigen Essayband aus; mit oft irritierenden Erfahrungen konfrontiert er die Leserinnen und Leser in seinen Romanen. Nicht wenige von Martin R. Deans Romanen kreisen um die Frage nach Herkunft und Zugehörigkeit, mit sensiblem Blick auf das Eigene und das Fremde; so auch sein Essay Verbeugung vor Spiegeln. In Josef Haslingers Erzählungen und Romanen steht der Mensch in seiner gesellschaftlichen und politischen Bedingtheit im Mittelpunkt, als Präsident des PEN-Clubs ist seine Meinung auch zu tagesaktuellen Fragen willkommen. Maxi Obexer hat sich mit ihren politischen Stücken, Hörspielen und Essays einen Namen gemacht, sie beschäftigt sich immer wieder mit dem Thema Migration, zuletzt in dem mehrfach prämierten Stück Illegale Helfer. Marion Poschmanns Roman Die Sonnenposition ist ein Buch über Deutschland aus der Sicht der Kriegsenkel; in ihrem Gedichtband Geliehene Landschaften reist sie von Helsinki über Berlin bis nach Kyoto und geht den politischen Implikationen nach, die in diesen Landschaften zum Ausdruck kommen. Evelyn Schlag zeigt in ihrem neuen Roman Yemen Café, wie in einer Konfliktzone gelebt und gelitten wird. Und für Marlene Streeruwitz, eine der politisch engagiertesten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen, ist der Roman ein politisches Medium und jede Politik immer auch Geschlechterpolitik.

Birgit Holzner und Joe Rabl

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