Like a dream. © Ursula Aichner

Photo: Ursula Aichner

Traum


„Wenn Ihr aber nicht wollt, so ist es und bleibt es ein Märchen, was ich Euch erzählt habe. Wenn du aber zu freundlichen Leuten kommst, so grüße sie von deinem Herrn Vater. Er meint: das Träumen sei immerhin auch eine Ausfüllung der Zeit, die wir auf der Erde verbringen. Traum ist von Tat nicht so verschieden, wie mancher glaubt. Alles Tun der Menschen war vorher Traum und wird später zum Traume“, schreibt Theodor Herzl in Altneuland.


Doch jede Verwirklichung eines Traumes ist auch dessen Ende, gehen Träume in Erfüllung, sind es keine mehr, wenngleich dadurch nichts verloren geht. Denn auch für den Traum gilt das Grundgesetz von Materie und Energie: Es geht nichts verloren, es sucht sich nur eine andere Form. So reimt Georg Kreisler: „Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch, sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.“


Der Traum ist seit der Antike eines der großen Themen der Literatur. Vor allem in Romantik, Wiener Jahrhundertwende, Expressionismus und Surrealismus taucht das Traum-Motiv häufig auf und baut zwischen verwirrter Figur und wissendem/r Leser/in ein Spannungsverhältnis auf. In der heutigen Zeit, in der alles rationalisiert, gescannt und ausgeleuchtet wird, in einer Zeit, in der der Mensch durchsichtig und gläsern ist, stehen Träume noch für Geheimnisse.


Die Figuren der diesjährigen AutorInnen sind allesamt Träumer: Birgit Unterholzners Marilena träumt von ihrer verunglückten Tochter Lyra, von Gespenstern, dem Meer und ihrer isländischen Liebe. Ralph Dutlis Maler Soutine erinnert sich auf seiner letzten Reise zwischen Schlafen und Wachen an sein buntes, farbenfrohes und von der Liebe zur Kunst geprägtes Leben im Paris der Goldenen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Judith Kuckarts Protagonistin Vera haut an ihrem 46. Geburtstag aus ihrem Leben ab – nach London, zu ihren Träumen. Robert Kleindiensts Protagonist Selander befindet sich in einer seltsamen Zwischenwelt „Hinter dem Schlaf“, er wird häufig von Tagträumen und wahnhaften Vorstellungen heimgesucht, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Josef Oberhollenzers Traumklauber verleibt sich die Träume der anderen ein, wo immer er ihrer habhaft wird und macht fremde Träume zu seinen eigenen. Margret Kreidl legt in "Einfache Erklärung" einen Traumalmanach vor: Echte und phantasierte, eigene und fremde Träume, Alpträume und Wunschträume. Nico Bleutge spürt in seinem dritten Gedichtband den Übergängen zwischen Wach- und Traumzuständen nach. Andrea Winklers Figuren bewegen sich mit großer Sicherheit zwischen Traum und Wirklichkeit hin und her. Und Peter Truschner zeigt uns in seinem Roman Die Träumer ein Paar in zwei Lebenswelten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.


Die Realität freilich ist oft weit entfernt von einem Leben, wie wir es erträumen. Doch was bleibt, wenn nicht unsere Träume: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen ...“

© 2003-2014 Innsbrucker Wochenendgespräche - E-Mail - Impressum