1. Carte blanche
Niemand weiß, was "Krimi" ist, aber alle operieren damit. Ich weiß es auch nicht, ich hab nur ein paar Dinge gelernt – by doing zumeist, also lesend, schreibend, debattierend, denkend:

Sie merken: ich rede lieber von Kriminalliteratur. Zu "Krimi" fällt mir ein: das ist ein Wortbröckchen, ein Kürzel, ein Präfix, ein passe-partout – bzw eben nicht partout. Sonst eigentlich nichts (mehr), außer – ähm, joh, auch so'ne Schublade.

1. Schubladen
Schubladen sind praktisch; man kann darin seine Fotos oder CDs oder Unterwäsche vor Staub und fremden Blicken schützen. Oder seine Brot- und Fleischmesser, bevor jemand auf dumme Gedanken kommt – sagen wir: ein Klempner, der den verstopften Abfluss reparieren soll und unverhohlen beleidigt ist, weil er für "Tussis, wo ihre Haare nicht aus det Sieb kratzen" die Drecksarbeit machen soll… (Die "Tussi" kann auch ein schwuler Mann sein oder eine dunklere Hautfarbe haben oder nicht so falsches Deutsch sprechen wie er selbst.)
Wie gesagt, Schubladen sind eine feine Sache, ich mag Schubladen – wo sie hinpassen. Zu Werken der menschlichen Kreativität passen sie nicht.

2. Um "Krimi" wird viel zu viel Gewese gemacht
In den 1980er Jahren galt noch das Gegenteil, zumindest in ton-angebenden Medienkreisen, also im Feuille-Ton: "Krimis? Die liest man mal aus Versehen, aber als seriöser Kritiker schweigt man ja wohl darüber!"  (Eine aparte Parallele zwischen Krimis und Bordellbesuchen, aber auch das nur nebenbei.)

Heute dagegen gehört es nicht nur zum guten Feuille-Ton, die Trennung von E und U als typischdeutsch-doof zu geißeln; heute muss jeder zweite "richtige Schriftsteller" allerlei Geschlechts unbedingt auch Krimis schreiben, will kaum noch ein Verlag ohne Krimireihe, kaum noch eine Zeitung ohne Krimi-Kolumne dastehen. Ergebnis: exponentielle Vervielfachung der Schubladen durch Differenzitis. Im Angebot ua: Frauenkrimis, Serienmörderkrimis, Ökokrimis, Tierkrimis mit den Unterfächern Katzen, Schafe & Co, Regionalkrimis von Alpen bis Nordseeinsel, vermutlich gibt's längst auch Garten-, Bienen- und Drohnenkrimis. Der drolligste von allen aber ist der Mehralseinkrimi. Der ist nicht etwa zwei, drei, vier Krimis in einem Band, ein Mehralseinkrimi ist – ja, was? Man weiß es nicht. Man weiß nicht mal, wer zuerst auf die Idee kam – die Marketing-Algoritmiker in den Verlagen oder die "Krimi-Experten" in den Medien. Aber – wurscht, die schreiben eh voneinander ab.

Zu einem tatsächlich differenzierten, weil kompetenten, vulgo: belesenen und bedachten Verständnis von und für Kriminalliteratur jedenfalls hat die Öffnung der deutschsprachigen literary pages leider nicht geführt. Literaturkritik, an der sich ja nicht zuletzt auch die Literatur-Schreibenden aus/bilden, ist kaum zu finden; und im Internet mit seinen unendlich vielen Portalen, Fanseiten, Homepages, Magazinen klemmen Kriminalschriftsteller zwischen der Scylla von "Mein Geschmack ist mein Himmelreich, da lass ich nicht von Intellektuellen bevormunden!"-Laien und der Charybdis von selbstreferentiell-vatikanesken Expertenkartellchen.

So gesehen war es womöglich sogar kontraproduktiv, Kriminalliteratur "salonfähig" gemacht zu haben. Mir wird sowas seit 1990 Klagenfurt nachgesagt (ich hatte da mit einem Stück aus meinem zweiten Roman Violetta einen der Trostpreise erobert), und ich möchte dafür um Entschuldigung bitten. Das hab ich nicht geahnt und erst recht nicht gewollt.

Und falls das jemanden beruhigt: Um "Berlin" wird auch viel zu viel Gewese gemacht. Von "Frauen" ganz zu schweigen. Vielleicht müsste man auch eher von "Verwese" sprechen. Aber das wären eventuelle Themen für weitere Wochenendgespräche.

Pieke Biermann

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