Autorschaft und Freiheit

Jeder Autor macht sich Gedanken über die mögliche Aufnahme des Buches, an dem er gerade schreibt. Das kann bei dem einen Autor die naheliegende Frage nach dem möglichen Verständnis und dem Interesse der Leser sein, es kann bei einem anderen Autor aber auch die Sorge um die Folgen sein, die das Geschriebene für ihn haben könnte. Da gibt es große Unterschiede zwischen den Autoren, aber auch zwischen den Staaten, in denen sie schreiben. In Deutschland etwa würde kein Autor angeklagt werden, weil er gegen das Deutschtum hetze, aber er könnte angeklagt werden, wenn er die Opfer des Deutschtums leugnete. In der Türkei wiederum ist es seit jeher riskant über den Massenmord an den Armeniern zu schreiben. Hrant Dink hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Er wurde 2007 auf offener Straße ermordet.
Das Risiko ist für Schreibende in der Türkei mittlerweile noch beträchtlich gestiegen. Als die Zeitschrift Cumhuriyet im Herbst 2015 Beweise vorlegte, dass der türkische Geheimdienst Waffen an Rebellen in Syrien geliefert hat, wurden der Chefredakteur Can Dündar und der Leiter des Hauptstadtbüros Erdem Gül wegen des Verdachts der Spionage, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Verbreitung von Staatsgeheimnissen festgenommen. Auf Anordnung des türkischen Verfassungsgerichts wurde die Untersuchungshaft nach ein paar Monaten aufgehoben, was Can Dündar Gelegenheit bot, nach Deutschland zu fliehen. Um ihn zur Rückkehr zu zwingen, hat man seiner Frau den Pass entzogen.
Dort wo es gefahrenreicher ist, über bestimmte Themen zu schreiben, bekommen mutige Autoren für die Leser schnell eine Vorbildfunktion und sie geraten in eine politische Rolle, ob sie es wollen oder nicht. Ich hatte das Glück, ein Jahr vor seinem Tod Vaclav Havel zu treffen. Der Lohn, den er für seine Selbstachtung und sein Beharrungsvermögen gegenüber seinen Peinigern letztlich doch noch bekommen hat, war groß und verdient. Er war zum Helden einer Generation geworden, der es gelungen war, einen erfolgreichen Aufstand gegen die Unterdrückung des freien Wortes zu führen. Havel hatte das Angebot des österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky gehabt, nach Österreich auszuwandern und in Sicherheit zu leben. Viele seiner Charta-77-Freunde haben von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Doch Havel sagte, er sei Tscheche und er wolle es nicht zulassen, dass andere Tschechen ihn aus seinem Land vertreiben. Er zog es vor ins Gefängnis zu gehen und dort seine „Briefe an Olga“ zu schreiben.
Das Merkwürdige an der Freiheit ist, dass sie ihre wahre Bedeutung erst dann bekommt, wenn man sie nicht hat. Man kann von niemandem verlangen, ein Held zu werden, aber man darf von allen, denen das freie Wort zur Verfügung steht, erwarten, dass sie dessen Grundlagen verteidigen und sich für die verfolgten Kollegen einsetzen. In den Reihen der weltweit 144 PEN-Zentren kann man das nicht nur erwarten, dort haben sich die Mitglieder sogar mit ihrer Unterschrift verpflichtet, „jeder Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in ihrem Lande, in der Gemeinschaft, in der sie leben, und wo immer möglich auch weltweit entgegenzutreten“.

Josef Haslinger

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