Statement zu Literatur und Politik

Wenn erst einmal lautstark erklärt wird, auch Spaß müsse sein, dann ist er schon wieder vorbei. Nicht weniger widersprüchlich klingt die Parole: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, denn wäre Widerstand tatsächlich Pflicht, dürften wir nur auf Befehl ungehorsam sein. Ebenso paradox ist die Forderung, Literatur habe kritisch und politisch zu sein, denn jeder Text, der so einem äußeren Zwang folgt, verkommt zum Diktat. Jegliche Anleitung an den Autor, was zu schreiben wäre, ist eine Ansage, eine Kampfansage gegen ihn. Wer aber wünscht, der Schreibende sollte nichts tun, außer still vor sich hin zu schreiben und möge sich nicht einmischen, verbannt Kunst aus der Gesellschaft.
Emil Zola, der Autor des J'accuse, der Ahnherr des engagierten Intellektuellen, war zugleich ein naturalistischer Schriftsteller und ein Wegbereiter des „l'Art pour l'Art“. Zola stritt  für die Autonomie der Kunst, nicht obwohl, sondern weil er sich gegen die Macht stellte.
Literatur hat nicht unbedingt politisch zu sein, aber sie ist es nun einmal auch dann, wenn sie nicht politisch sein will. „Was fällt dir eigentlich ein?“, wird der Autor gefragt, denn der Einfall selbst ist Eigensinn, Vorstellung und Erinnerung. In einer Welt, die vor allem nach Profit strebt, gilt Kunst an sich nicht wenigen als Anmaßung, es sei denn sie erzielt bei Auktionen hohen Gewinn. Aber keine Marktanalyse kann den Bedarf nach neuen Gedichten belegen oder gar berechnen, ob ein Text gut ist oder schlecht. Der Wert richtet sich nicht nach der Verwertbarkeit. Schriftsteller ist nicht unbedingt, wer vom Schreiben leben kann, sondern vielmehr, wer vom Leben schreiben muß.
Mein Schreiben folgt meinen innersten Bedürfnissen. Mein Schreiben ist nicht politisch, weil ich einem äußerem Auftrag folge, obgleich ich lieber von einer blauen Blume singen würde, sondern vielmehr deshalb, weil ich nur zu gut weiß, ein jeder Text, den ich über das Edelweiß verfassen sollte, würde immer als ein jüdischer Text über Edelweiß gelesen werden, und ein jeder von mir über die Kornblume würde immer nur als politische Polemik verstanden werden gegen das, was uns noch blühen und bleuen mag, und diese Lesart, dieser Blick auf mein Schreiben prägt es wiederum, denn mein blaues Pflänzchen in diesem Alpenland war von Anfang an das Vergißmeinnicht.
Die Literatur ist kein Manifest, das sich der Worte nur bedient. Die Literatur dient der Sprache. Sie hört auf sie. Sie horcht sie aus. Der Tribun gehorcht den Floskeln und unterwirft sich der Selbstzensur der allgemeinen Verständlichkeit. Der Schriftsteller ist bloß sich selbst im Wort. Er wagt den anderen Blick.
Mit der Literatur kommt der Einzelne nicht zu seinem Recht, aber er kann mit ihr Gehör finden. Die Literatur heilt die Wunde nicht, doch sie kann den Finger darauf legen. Sie löscht nicht den Schmerz. Aber sie löst den Schrei.

Doron Rabinovici

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