REISE

Schreiben ist der schönste Beruf der Welt. Ob der Satz stimmt, interessiert mich nicht. Nicht wirklich. Ich empfinde es so. Wenn ich die Mails bedenke, die bei mir eintreffen (mit der Bitte, den angehängten Text an Verleger weiterzuleiten), dann könnte man glauben, dass die Hälfte aller deutschen Schubladen vor Manuskripten überquellen. Unglaublich viele wollen etwas sagen. Schriftlich, schwarz auf weiß.

Schreiben übers Reisen ist allerdings noch schöner. Denn da muss man nicht wie ein Romancier fünf Jahre am selben Ort herumsitzen, nein, man darf vorher, vor dem Hinsetzen, sogar noch die Welt besichtigen. Jetzt sind wir beim Traumberuf. Sagen alle. Und ich sage nicht nein.

Seltsamerweise hat die Reiseliteratur einen schlechten Ruf. Oft zu Recht. Man fasst nicht, mit wie viel drögen Wörtern so manches der einschlägigen Bücher vollgemacht wird. Pipi-Popo-Nachrichten ziehen sich über Seiten, abgestandener Small Talk mit Taxifahrern soll Authentizität vortäuschen, Detailhuber deprimieren uns minutenlang mit ganz und gar überflüssigen Details.

Man darf bündelweise weiterblättern, ohne einen Gedanken zu versäumen, von dem man nicht vorher schon gehört hätte. So raubt uns so mancher Autor gleich zwei Dinge: das schöne Geld und unsere – unaufholbare – Lebenszeit.

Andere wissen etwas, aber servieren ihr Wissen wie einen liegengebliebenen McDonald’s-Fladen: ohne Sauce (Gefühl), ohne Beilagen (Sprachwitz), ohne Gewürze (Provokation). Interessante Fakten kommen als schriftliches Geleier daher. Nie falsch, nie dumm, aber vom schlimmsten aller Makel geschlagen: von (stilistischer) Langeweile.

Grundsätzlich ist die Vermutung richtig, dass einer, der sich auf eine Reise begibt, die Welt intensiver spürt als einer, der, sagen wir, in Köln-Ehrenfeld eine Autowaschanlage betreibt. Dass ihm ein Leben widerfährt, von dem andere nichts wissen. Und er, der Reisende, deshalb den Wunsch verspürt, darüber zu berichten. Legitimer kann ein Motiv nicht sein. Deshalb entstehen Reportagen, Bücher, Filme, etc. Fast immer aus dem Bedürfnis heraus, dass einer, der „weiß“ (na ja, ein bisschen weiß), anderen, die das wissen wollen, davon Nachricht gibt. Tell a story! Erzähl die Geschichte deiner Reise!

Das hundsgemeine Problem dabei: Man muss es können. Der Wille reicht nicht, reicht nie, denn Kunst kommt nicht von wollen, sonst hieße es ja Wulst, sie kommt von müssen: Doch wenn einer muss (schreiben!), dann muss er es können. Dieses Talent ist kein Verdienst, es ist ein Geschenk. Von wem auch immer.

Warum sich so viele in etwas – das Schreiben! – verlieben, das diese Liebe nicht erwidert, bleibt ein Rätsel. Solches Tun erinnert an einem Mann, der sich in eine Superschöne, Superkluge verknallt und hartnäckig nicht wahrhaben will, dass sie nicht interessiert ist. Nie ein Auge auf ihn wirft, nie ihn lockt, nicht das Geringste unternimmt, um ihm nah zu sein. Ein intelligenter Verehrer, einer mit Erkenntnisbereitschaft, wird einsehen, dass man nicht jede haben kann. Und woanders seinen Charme versuchen. Nur die lästigen Männer, jene, die von dem Wahn besessen sind, dass keine an ihnen vorbeikommt, werden nun penetrant die gescheite Schöne belästigen.

So ähnlich unser Mann am Schreibtisch (viel mehr Männer als Frauen tun das). Er schreibt und schreibt und hört all das nicht, was ein Begabter hören würde: den Rhythmus, die Musik, die Harmonie, den Swing, den Sinn. Er schreibt – so sagen es die Franzosen – „comme un pied“, wie ein Fuß. So eckig, so linkisch, so ohne Anmut. Er belästigt jetzt die Sprache, stochert ungelenk wie ein tapsiger Verlobter in seiner Verlobten. Dass ihm dabei keine Jubelschreie – weder von der Braut noch vom Leserpublikum – entgegenfliegen, sollte nicht überraschen. Denn man riecht den Schweiß, die fürchterliche Mühsal. Aber genau das ist der springende Punkt. Wir Leser wollen das nicht riechen, nicht sehen, wir wollen Eleganz bewundern, die Leichtigkeit, wollen ein Ergebnis präsentiert bekommen, das uns – auch wenn wir bisweilen dem Autor widersprechen – mit Schönheit und Hintersinn versorgt. Und mit „Lebenshilfe“. Wir wollen keinem zuschauen, wie er den dreifachen Rittberger trainiert, nein, wir wollen den fertigen Rittberger bewundern, das schwerelose Tänzeln, das Schweben. Und wir wollen mit Gedanken beschenkt werden, die uns zu Tränen rühren – Tränen der Freude, der Erkenntnis, des Kummers, des Trostes.

Ein gewiefter Schreiber (gewiefte Schreiberin) führt uns in unsere geheimsten Herzkammern. Er benimmt sich wie ein findiger Fremdenführer, der einem Fremden die Fremde erklärt und ihn dabei immer tiefer in die Wunderlichkeiten und Verblüffungen der Welt blicken lässt. Und wir, die Leser, begreifen etwas über uns und die Weltbewohner. Dank ihm, dem Wildfremden.

Andreas Altmann

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