Portrait Thoams Stangl
Foto: Aleksandra Pawloff

Thomas Stangl

studierte Spanisch und Philosophie, lebt in Wien. Vielfach ausgezeichneter Autor, u.a. aspekte-Literaturpreis 2004, manuskripte-Preis 2009, Erich-Fried-Preis 2011, Wortmeldungen-Literaturpreis 2019. Seine Bücher erscheinen bei Droschl: Der einzige Ort. Roman (2004), Ihre Musik. Roman (2006), Was kommt. Roman (2009), Reisen und Gespenster. Erzählungen und Essays (2012), Regeln des Tanzes. Roman (2013), Freiheit und Langeweile. Essays (2016), Fremde Verwandtschaften. Roman (2018), Die Geschichte des Körpers. Erzählungen (2019).

Vielleicht hast du begonnen zu lesen und dann zu schreiben, weil dich die Welt so fremd angeschaut hat, dass du dir selbst ganz fremd wurdest. Zuerst hast du in den Sätzen die Fremdheit wiederfinden wollen, dann auch die Welt und dich in der Welt, die sich weitet, am Ende mit anderen, so wie dir, füllt. Was Essen und Trinken heißt, was Gehen ist, was ein Berg ist, was ein Fluss, hast du aus Büchern gelernt: aber auf diese Weise ist nicht nur das Leben zur Literatur geworden, die Literatur ist auch zum Leben, zur körperlichen Erfahrung geworden.

Die Natur, das Eigene, die anderen sind nicht einfach da, man muss sie erst finden, dort, auf der anderen Seite, hier. Ich sitze, zum Beispiel, auf einer Bank am Donaukanal, erfinde ein Muster aus Krähen, Wolken, Wasser, Plastikflaschen und Ästen, in dem die Bank sich formt, auf der ich sitze. Damit beginnt es.

Vielleicht gibt es keine schönere, offenere unverbohrtere Art, die Natur, das Eigene, die anderen zu finden, als die Literatur. Es muss in ihr um etwas gehen, das mehr ist als das, was man aufschreiben kann, das es aber, ohne dass es aufgeschrieben ist, ohne die Form, nicht geben würde (es muss um Literatur gehen, damit es um mehr als Literatur gehen kann).

Aus: Reisen und Gespenster. Erzählungen und Essays. Droschl: Graz 2012




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