Portrait Katharina Winkler
Foto: Stefan Klüter

Katharina Winkler

geboren 1979 in Wien, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft. Blauschmuck (2016) ist ihr Debütroman. Die Autorin lebt in Berlin. U.a. erhielt sie das Märkische Stipendium für Literatur 2017, den Mara-Cassens-Preis 2016, den Förderpreis für Junge Literatur 2016 und wurde für den Österreichischen Buchpreis 2016 nominiert.

In unserem Tal leben hundert blaue Frauen. Es gibt hell-blaue Frauen wie Neclas Mutter und dunkelblaue Frauen wie die Mutter von Fidan, es gibt blau-rote Frauen und blau-schwarze. Es gibt Frauen, die ihr Blau um den Hals tragen wie einen Reif oder in der Vertiefung unter dem Hals wie ein Medaillon, manche tragen ihr Blau als Armband um das Handgelenk, manche um ihre Fesseln.

Viele Frauen wechseln den Blauschmuck von Woche zu Woche, einige von Tag zu Tag. Manche lächeln immerzu trotz ihres Blauschmucks, wie Leyla, manche schweigen in Blau, wie Zehra.

Hellblaue Frauen werden zu dunkelblauen, blau-rote zu blau-schwarzen. Dunkelblaue werden auch zu hellblauen, aber das ist selten, und Frauen, die Blau-Schwarz tragen, wie Ayse, geben die schwere Farbe nicht mehr her.

Es gibt Frauen, deren Blauschmuck niemand kennt, Frauen, die ihn verbergen unter langen Kleidern, unter Tüchern, blaue Mädchen meist, wie Elif und Selin, die ihr Blau noch unsicher tragen wie einen ersten Lippenstift. Der Blauschmuck der Frauen trägt die Handschrift der Männer. Das Werkzeug, Holz oder Eisen, und die Anzahl der Schläge bestimmen den Blauton.

Die blauen Frauen tragen die Farbe des Himmels. Wolkendurchzogener Sommerhimmel, eisiger Winterhimmel, unsteter Frühlingshimmel, grauer Herbsthimmel, Dämmerung, Regenbogen.

Nur Songül ist himmellos und ohne Blau. Wo sie auf-taucht, verstummt das Gespräch.

Was soll man reden mit der Himmellosen.

Aus: Blauschmuck. Suhrkamp: Berlin 2016




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