Das Thema Bild

Unsere Kultur ist mittlerweile eine des Sehens und Schauens und weniger eine des Hörens. Das beste Zeugnis dafür ist die Konfrontation von Radio und TV. Hatte man, bevor das Fernsehen erfunden wurde, das Sprechen und Hören für eine der größten und schnellsten Informationsquellen gehalten (das Schreiben und Drucken dauerte wesentlich länger), erwies sich das Fernsehen mit seiner Bebilderung dessen, was zu kommunizieren war, als durchaus beliebter.

Schaltete man früher das Radio ein, um zu erfahren, was alles passiert ist, fügte von nun an das Fernsehen auch noch eine Art Film dazu. Nicht von ungefähr agierten Nachrichtenportale mit Titeln wie „Zeit im Bild“ oder „Mittagsjournal“ usw. Das Optische galt jedoch weniger als Kontrahent des Akustischen, sondern eher als Zugabe, um sich ein besseres Bild von dem Geschehenen machen zu können. Auch vertraute man den sichtbaren Mienen, Handbewegungen und Körperhaltungen mehr, als man es bei Stimmen allein tat.

Das ist das eine. Das andere ist eine angeborene Bildhaftigkeit der Sprache, die zu den mündlichen Erklärungen mit Wörtern und Sätzen für das, was sie vermitteln wollte, zur Unterstützung Ähnlichkeiten gebrauchte, beziehungsweise mit Vergleichen arbeitete und das noch immer tut.

Da Sprache meist ambivalent ist, können sich auch Bedeutungen verändern oder werden durch ihre Anwendung zur Mehrdeutigkeit gebracht. In meinem Essay aus der Reihe „Unruhe bewahren“, mit dem Titel „Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen“, bin ich immer wieder auf eine Bildersprache gestoßen, nicht nur in mythischen, religiösen und märchenhaften Erzählungen, sondern oft auch in wissenschaftlichen, philosophischen und anthropologischen Narrativen.

Die Götter und Helden der griechisch-römischen Antike gehören interessanterweise zu den am häufigsten benutzten Erklärungsmodellen. Wahrscheinlich deshalb, weil man sie für eine festgesetzte Basis der Bildung hält. Mit festgesetzt meine ich in diesem Sinn eine populäre Version der altgriechisch-römischen Mythen, die jedoch die vielen abweichenden und tiefgründigeren Interpretationen nicht berücksichtigt.

Aber auch die Narrative der Indigenen, so sie nicht ausgestorben sind, wie z. B. die arktischen des Nordens, die zwar interessant, aber bei weitem nicht so bekannt sind, haben ähnlich bildliche, wenn auch feministischere und anders figurierte Welterklärungen entwickelt. Wobei es immer wieder Ähnlichkeiten gibt, so als hätte die Menschheit trotz aller Kriege und Separationen doch einen irgendwie gemeinsamen Hintergrund, der sich noch immer in Form von Sprachbildern äußert.

In meinem Essay habe ich versucht, herauszufinden, was diese Sprachbilder für die und in der Realität bedeuten, und warum sie für ein besseres Verständnis der Natur so wichtig sind, und das auch für Geologen, Biologen, Anthropologen, Mykologen, Zoologen und Botaniker. Was mich bei all den Recherchen am meisten überrascht hat, ist, dass vor allem Philosophen wie Michel Serres, Bruno Latour oder Emanuele Coccia in ihren eigenen Welterklärungen so häufig auf Metapher und Mythos setzen.

Ganz zu schweigen von Figuren wie Paracelsus oder die Sprachakademiker des 17. Jahrhunderts, die die deutsche Sprache purifizieren wollten, da ihnen das Deutsche noch immer als zu sehr vom Französischen durchwachsen erschien. Also gründeten sie eine „Fruchtbringende Gesellschaft“, auch als „der Palmorden“ bekannt. Die Mitglieder sollten vor allem französische Begriffe durch deutsche ersetzen. Meist waren es Adelige, die sich selbst dafür passende Namen gaben wie z. B. „Der Mehlreiche“ und „Der Schmackhafte“, der mit Menschenfressern nichts zu tun hatte, ebenso wenig wie „Der Nährende“ als Futterproduzent erscheinen sollte. Das Beste, was diesen Akademikern gelungen ist, war wohl der Ausdruck „Zeugemutter“, ein Begriff, der es schaffte, den weiblichen und den männlichen Part der sich Vermehrenden in ein einziges Wort zu fassen. Leider konnte er sich nicht durchsetzen, ebenso wenig wie der „Gesichtserker“, der das Wort Nase profilieren sollte.

Mit einem Wort, Bilder noch und noch, nicht nur in der Literatur, sondern auch in vielen anderen Disziplinen, wobei das wirkliche, das künstlerische Bild ebenfalls eine Art Ähnlichkeit zeigt, wenn auch mit anderen Mitteln und in konkreteren Farben.

Barbara Frischmuth

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