ARBEIT – EINE HINTERFRAGUNG

I. Was heißt hier Arbeit? Fangen wir beim Wortursprung an, vielleicht der springenden Frage! Die Wortgeschichte - so der Duden - spricht vom Leiden, von der Mühsal oder gar vom verwaisten Kind, das zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingt wird. Das Wort sei mit Erbschaft eventuell mit Armut und Sklaverei verwandt. Das sind viele Begriffe im Femininum. Und doch wurde Arbeit über Jahrhunderte männlich konnotiert: öffentlich, produktiv, bezahlt. Was scheinbar nicht messbar ist, wurde vergessen, verniedlicht und versteckt. Selbst hochqualifizierte Tätigkeiten wie Care-Arbeiten wurden sprachlich wie gesellschaftlich entwertet. (Wann werden die 190 000 pflegenden Angehörigen in Österreich entlohnt?) Lasst uns Biografisches Abtasten: Wenn wir heute von Arbeit sprechen – an wen denken wir da? Und an wen nicht? An welche Körper? Welche Stimmen? Welche Geschichten? Wieviel bleibt verschleiert? Allgemein wird Arbeit als Tätigkeit zur Herstellung von Gütern und zur Dienstleistung oder zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben definiert – also eine existenzstiftende Beschäftigung, in sinn- und überlebenssichernder Hinsicht. Simone Weil spricht auch vom Kontakt mit dem Realen, vom Abarbeiten und Spüren der Widerstände. Arbeiten wir dann nicht alle?

II. Arbeiten nur Menschen? Wie anthropozentrisch ist die Begrifflichkeit Arbeit? Arbeitet auch Wasser? Es formt, arbeitet sich an Hindernissen ab, erschafft Leben, sogar Lebens- und Arbeitsgrundlagen, ist Arbeits- und Energiekomplizin. (Wann danken wir den über 43 000 Kubikmeter Wasser, die pro Sekunde durch österreichische Kraftwerke fließen?) Wie sichtbar muss Arbeit sein, um gewürdigt zu werden?

III. Arbeiten nur Körper? Wenn wir von körperlicher Arbeit sprechen, denken wir vielleicht an Muskelkraft. Aber was ist mit jener Arbeit, die im Inneren stattfindet. Auch die Psyche arbeitet – und zwar ununterbrochen. Doch psychische Arbeit wird historisch erst seit dem 19. Jahrhundert langsam als solche anerkannt. Wieso werden reale Überlebensleistungen wie Traumabewältigung und das Aushalten innerer Krisen selten als Arbeit gezählt?

IV. Wieviel Arbeit trauen wir der Poesie zu? Das Wort kommt bekanntlich aus dem Griechischen „poiēsis“, das für Machen, Verfertigen und Erschaffen steht. Wieso gilt dann Poesie oft nur als Passion, nicht als Profession? Schreiben ist Arbeit! Und wer schreibt, will auch leben können. (Wie werden die 8000 literarisch schreibenden Personen in Österreich bezahlt?) Fair Pay für Autor*innen ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Die finanzielle Abwertung poetischer Tätigkeit ist politisch: Sie kann Sprache zur Verstummung bringen, bevor sie nur ansatzweise gehört wird. Wenn wir Poesie als Kulturgut, als ein wortwörtlich „gemachtes“ Werk feiern, wie würdigen wir dann ihre poetische Arbeit?

V. Und jetzt? Lasst uns neue Arbeitswörterbücher verfassen! Was wäre beispielsweise, wenn wir Arbeit mit Kreation oder gar Leben ersetzen? Dann hieße es: „Das habe ich in meiner Lebenszeit gemacht“. Vielleicht ist Arbeit das, was uns mit der Welt verbindet – unser schöpferischer Akt, genau jene Kerntätigkeit, die beachtet, gesehen und bezahlt werden muss. Vielleicht ist so das Gegenteil von kapitalistischer Fülle nicht erwirtschafteter Mangel, sondern gelebte Erfüllung?

Siljarosa Schletterer